* 19. Juni 1973
von Florian Henri Besthorn
Essay
Jörg Widmann ist nicht nur Komponist, sondern weithin gefeierter Klarinettenvirtuose und Dirigent; er versteht sich als »Musiker«, der sich nicht in einzelne Rollen aufspalten, sondern alle Aspekte des Interpretierens und Kreierens von Musik präsentieren möchte. Dies zeigt sich bereits in frühen Werken, in denen er dem Wunsch folgt, Klarinetten-Improvisationen festzuhalten. Die Fantasie für Klarinette solo (1993), die als »Liebeserklärung an sein Instrument« am Beginn von Widmanns offiziellem Werkverzeichnis steht, sagt auch viel über den Musiker selbst aus: Zunächst erscheint ein Mulitiphonic, der als Dominant-Septakkord zu B-Dur als eine »Neue Musik«-Parodie aufgefasst werden kann; diesem wird das Material für den rhapsodischen Anfang entnommen, der von einer Dreiklangsmelodik geprägt ist – als kontrastierendes Moment tritt ein Triller hinzu, der eine zunehmende Chromatisierung einleitet. Auch wenn die gesamte Fantasie ohne Taktstriche notiert ist, ist der zweite Teil deutlich als Ländler im 3/4-Takt zu interpretieren, der »alpenländisch, tänzerisch« erklingen soll. Die in den Ländler hineinbrechenden Elemente der rhapsodischen Einleitung zeugen von einer ironischen Brechung sowohl des Zitathaften als auch des Virtuosen. Das Wiederaufgreifen und stete Neukombinieren nicht nur von musikalischen Motiven, sondern von ganzen Abschnitten – auch über Werk- und Gattungsgrenzen hinweg – ...